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Das Geheimnis von Paganini

07 Nov 2013
   
 

Niccolo Paganini Es gibt Dinge, die weder vom Laufe der Geschichte noch von den ständigen Änderungen der öffentlichen Meinung beeinflusst werden. Eines dieser Dinge ist die menschliche Denkweise, die wir üblicherweise mit ‚genial’ bezeichnen. Dieses spezielle Geschenk wird in verschiedenen Bereichen sichtbar.

In der Welt der klassischen Musik gilt Nicolo Paganini als das Mass aller Dinge, an dessen musikalischem Genie und Professionalität sich alle messen müssen. Der Name dieses hervorragenden italienischen Virtuosen hat sich als Synonym eingebürgert: Heutzutage zeichnen selbst Nichtkenner der Musik einen besonders begabten Musiker gerne als „Paganini“.

Eines der besonders wichtigen Charakteristika des Genies ist die Einzigartigkeit. War Paganini ein echtes Genie? „Zweifelsohne!“ würden seine Zeitgenossen sagen. Man hat ihm sogar übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben, manche sprachen von geradezu „teuflischen“. Viele Kompositionen von Paganini, besonders die berühmten Capricen und Concertos, bilden auch heute noch einen besonderen Standard der Meisterschaft für Komponisten und gelten durchaus als ein „innerer Mount Everest“, den es zu bezwingen gilt, wenn man es zu einem wirklich grossen Geiger bringen möchte. Andererseits hört man selbst die anspruchvollsten Stücke Paganinis immer wieder in Konzerten von Musikern gespielt, was die „Einzigartigkeit“ natürlich sehr in Frage stellt. Bedeutet das also, dass Paganini einfach nur vollkommen überschätzt wurde?

Es dürfte ausser Frage stehen, dass Paganini ein einzigartiger Musiker war – der erste, der die technisch ungeheuer anspruchsvollen Passagen spielen konnte, von denen es in seinen Stücken nur so „wimmelt“. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit dem sogenannten „Geheimnis von Paganini“ beschäftigen und das Phänomen seines unglaublich grossen Erfolgs beleuchten. Eine Hypothese ist zum Beispiel, dass er unter einer Krankheit litt, die seine unvergleichlichen Fähigkeiten ermöglichte. Wir beschäftigen uns jedoch lieber mit den Theorien, die sich auf die Erkenntnisse der modernen Neurophysiologie stützen.

Eine dieser Hypothesen beruft sich auf die mentalen Fähigkeiten, wie wir Informationen speichern und abrufen können, mit anderen Worten auf die Mechanismen der Kodierung von erinnerter Information. Unser Gehirn verarbeitet, komprimiert und speichert Daten in verschiedenen Hirnarealen. Um diese Daten wieder abzurufen, sich also an etwas zu erinnern, benötigen wir eine Art Zugangscode, ein assoziatives Element, vergleichbar mit dem Ende eines Fadens: man zieht an ihm und die Erinnerung taucht am anderen Ende auf. Für einen Musiker liegt die Schwierigkeit bei der Wiedergabe von technisch komplizierten Elementen primär in der Geschwindigkeit, mit der die notwendigen Informationen und Bewegungsabläufe abgerufen und koordiniert werden muss. Natürlich läuft das alles weitgehend unterbewusst ab. In einem solchen Zustand kann man einen Musiker durchaus mit einem Jongleur vergleichen, der mehrere zerbrechliche Gegenstände gleichzeitig in der Luft hält.

Es sind zahlreiche, komplexe Lehrmethoden entwickelt worden, mit deren Hilfe ein Musiker, egal welchen Ausbildungsstand er bereits besitzt, eine brillante Spieltechnik erreichen können soll, um so Paganinis „Geheimnis“ beherrschen zu können. Manche Methoden arbeiten beispielsweise damit, Schritt für Schritt die bewussten Abläufe zu automatisieren, oder basieren auf der graduellen Vergrösserung der Struktur des Stückes in der Vorstellung des Interpreten. Nichtsdestotrotz bleibt die Entwicklung dieser Fähigkeiten eine der schwierigsten Aufgaben im Leben eines Musikers. Vielleicht hat Paganini eine besondere Form von „Datenverarbeitung“ beherrscht, die es ihm ermöglichte, den Ablauf von Informationskomprimierung und Extraktion besonders effizient zu gestalten, und somit die Zeit regelrecht zu verlangsamen. Vielleicht konnten ihm diese Erkenntnisse den Weg öffnen, unerhört schnell spielen zu können? Verschiedene Beobachtungen stützen diese Theorie: Paganini übte nicht sehr häufig. Während seiner oft langen Reisen „übte“ er lediglich mit seiner rechten Hand, was als Beweis gilt, dass die eigentlich Arbeit an einem Stück vollständig in seinem Kopf ablief.

Das Geniale des grossen Geigers lag also in der Entdeckung von mentalen Mustern, die Paganini seiner Zeit so weit voraus sein liessen und seine Meisterschaft beim Spiel auf ein Niveau hob, das von keinem seiner Zeitgenossen erreicht werden konnte. Natürlich ist auch diese Theorie nur ein Versuch, eine rationale Erklärung für die Einzigartigkeit des Menschen zu finden. Die wahre Antwort auf die Frage „Was war das Geheimnis von Paganini?“ wird sich wahrscheinlich auf ewig unserem Verständnis entziehen.

Video: Nicolo Paganini, Violincapricen Nr. 11 und Nr. 24, interpretiert von Artem Shishkov, Preisträger verschiedener internationaler Wettbewerbe

 
 
 
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